NEUE AUSSTELLUNG IM ALTEN MUSEUM BERLIN: WENN IHR DOCH REDEN KöNNTET, APHRODITE, MEDUSA, KIRKE!

Sie heißen Persephone, Medusa, Aphrodite, Athena oder Artemis. Sie wurden entführt, vergewaltigt und dann auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht. Frauen in antiken Mythen hatten es nicht leicht und konnten eigentlich nur verlieren. Schon die erste, aus Marmor geschlagene Szene am Eingang in die Sonderausstellung „Göttinnen und Gattinnen. Frauen im antiken Mythos“ im Alten Museum, das einst Schinkel erbaute, macht klar, worum es geht.

Auf einem römischen Sarkophag-Relief aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert findet sich eine Darstellung vom Raub der Persephone, Tochter des Zeus und der Demeter, die der Überlieferung nach beim Blumenpflücken von Hades, dem Gott der Unterwelt, entführt wurde. Drastisch zeigt es, wie Hades die junge Frau von hinten packt und sie auf seinen Wagen zerrt. Persephone, bei den Römern Proserpina genannt, dreht sich noch hilfesuchend um, zu Artemis, der Beschützerin der Frauen und Kinder, und zu ihrer Mutter Demeter hin. Doch es hilft nichts, Hades rast mit ihr davon, und Persephone wird durch den dreisten Raub zwangsweise zu seiner Gattin.

Der Sage nach konnte Demeter zumindest für die Tochter aushandeln, dass diese nur drei Monate im Jahr in der Unterwelt verbringen musste, immer im Winter. Auch der Göttervater Zeus verhielt sich übergriffig, überwältigte Leda in Gestalt eines Schwans oder entführte Europa als Stier. Die Büste seiner Gattin Hera erscheint in der von Antikenkennerin Annegret Klünker kuratierten Schau majestätisch, während die schriftliche Überlieferung die Göttin als launisch und fast als Karikatur darstellt.

Derart spannungsgeladen ist diese feine Ausstellung insgesamt: Frauenbilder der cwerden aus zeitgenössischer Perspektive befragt. Klünker hat dafür aus den Depots der Antikensammlung der Staatlichen Museen Schätze aus der griechischen, römischen und etruskischen Kultur gehoben: große und kleine Statuen, Reliefs, Vasenbilder, Gemmen, Schmucksteine mit Motiv, die man in der Antike auf Ringen oder als Anhänger trug. In fein durchkomponierten Vitrinen stellen sich Bezüge zur Popkultur her, die zum Nachdenken darüber anregen, wie wir heute diese Frauenfiguren betrachten – und interpretieren.

Wie vielschichtig, geradezu paradox die Darstellungen der Göttinnen ausfielen, belegen drei elegante Statuen im Zentrum der Schau: Athena, Artemis und Aphrodite, letztere als Göttin der Liebe, nackt, den Schaft eines Schwerts unterm Arm. Athena, die Göttin des Krieges, trägt ein kleines Kind unter ihrem Schutzumhang und verkörpert Weisheit. Artemis wurde von den Frauen der Antike als Geburtshelferin angerufen. Am kurzen Gewand, mit dem sie gut im Wald laufen kann, ist sie zugleich als Jagdgöttin erkennbar; auch trägt sie einen Köcher auf dem Rücken.

Die Menschen in der Antike verehrten alle drei Göttinnen in wichtigen Kulten. In den Geschichten halten sich die drei aber nicht an die Grenzen weiblicher Rollenbilder. Sie sind weder treue Ehefrauen noch fürsorgliche Mütter. Aphrodite hat Sex, mit wem sie will. Athena und Artemis bleiben immer jungfräulich, sie gehen die gesellschaftlich wichtige Ehe erst gar nicht ein. Sie sind als Gottheiten zentral für die menschliche Gemeinschaft und dennoch nicht an die menschliche Ordnung gebunden.

Die Kuratorin führt noch eine dritte Kategorie für die mythischen Frauen ein: das Heldentum. Der Begriff der Heldin existierte in der Antike nicht. Sie waren, wie etwa die Amazonen, die Wilden, die Fremden, die Anderen. Oder Hexen, wie die Zauberin Kirke, die sich allein auf einer Insel gegen die Kampfgefährten des Odysseus zur Wehr setzte, indem sie die Männer mit einem Trank in Schweine verwandelte. Ihr ist eine wunderbar bestückte Vitrine gewidmet, die das Kuriosum aufgreift, dass Kirke es als Widersacherin und Liebhaberin des Helden Odysseus sogar bis in heutige Kinderzimmer geschafft hat: Die Zauberin steht hier als Playmobil-Figur mit zwei Duplo-Schweinchen zwischen einer rotfigurigen griechischen Vase und einem Tonrelief aus römischer Zeit. Im Mythos setzt sich der Held zwar gegen die gefährliche, wenn auch schöne und verführerische Frau durch. In der Neuzeit wird die alleinlebende und unverheiratete Zauberin jedoch oft als männerfeindlich dämonisiert. Männliche Angst vor einer machtvollen Frau? Der deutsche Begriff „bezirzen“ ist jedenfalls von Kirke abgeleitet und steht noch heute für betörende Überredung.

Medusa wiederum gilt als Monster. In einer filigranen Figurengruppe ist zu sehen, wie Perseus zu Pferde sie, die von Poseidon vergewaltigt und von einer anderen Frau zu dem bekannten Ungeheuer mit Schlangenhaaren verwandelt wurde, mit der Sichel enthauptet. Die Sterbende breitet ihre Flügel aus, wie im Todesschrei. Der Anblick der einst so Schönen lässt danach laut Sage jeden Betrachter zu Stein erstarren. Seit dem 19. Jahrhundert gilt Medusa als das Schreckbild weiblichen Verderbens, das alle mit ins Unglück reißt.

Und ihr Mörder Perseus? Der geht aus der Geschichte als Held hervor. Kein Wunder, wurden die Sagen doch von Männern aufgeschrieben. In dem Schaukasten daneben ist ein T-Shirt mit der „Schlangenhäuptigen“ ausgestellt, darauf der Aufdruck „Petrify the Patriarchy“ (versteinert das Patriarchat), der Medusa zum feministischen Vorbild macht.

Das alles veranschaulicht nicht nur die ganze Brutalität der Geschichte. Es zeigt auch, welch unterschiedliche Zugänge zu den Mythen existieren und wie man sie heute anders lesen kann. Denn schon in der Antike wurden diese Geschichten, die in der Auffassung jener Zeit aus einer historisch gedachten Vorzeit kamen, immer an die jeweilige Gesellschaftssituation angepasst. Seit Jahrhunderten ist der Kanon der Kunstgeschichte vom männlichen Blick geprägt. Ausnahmen wie die Dichterin Sappho bestätigen nur die Regel.

Das fällt heute umso mehr auf, als sich die Nacherzählungen über die mythischen Frauen zunehmender Beliebtheit erfreuen und Gegenstand vieler Fantasy-Romane sind. Diese aber wurden und werden häufig von Frauen geschrieben und boomen in den letzten Jahren geradezu. Darin bekommen Kirke, bei Madeline Miller, oder Penelope, bei Alice Munroe, eine eigene Stimme als Frau. In einer Art Lese-Lounge kann man sich Bücher vom Regal nehmen und darin schmökern. Bücher, die von Frauen verfasst wurden und die Annegret Künkel zu dieser erhellenden Ausstellung inspirierten.

Museumsinsel Berlin, Altes Museum, Am Lustgarten, Di–So 10–18 Uhr (Obergeschoss ab 11 Uhr). Bis 15. März 2025.

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