DEUTSCHER WANDERER TOT IN KRETA GEBORGEN: WARUM AUF DEN GRIECHISCHEN INSELN SO VIELE TOURISTEN STERBEN

Ferien am Mittelmeer in Griechenland – das klingt nach unbeschwertem Baden im warmen Meer, nach Feta und Oliven, ein wenig antike Steine bewundern und nach Ouzo und Sirtaki am Abend. Doch in den vergangenen Tagen häufen sich erschreckende Nachrichten: Mindestens sechs ausländische Touristen sind seit Anfang Juni auf griechischen Inseln ums Leben gekommen. Weitere werden vermisst.

Neustes Todesopfer ist ein 67 Jahre alter Tourist auf Deutschland. Der Mann war am Sonntag zu einer rund 30 Kilometer langen Wanderung aufgebrochen. Seine Frau meldete ihn als vermisst, nachdem er ihr am Telefon gesagt hatte, dass es ihm nicht gut gehe. Rettungskräfte fanden ihn schliesslich am Montagmorgen tot in einer schwer zugänglichen Schlucht. Sie gehen davon aus, dass er die Orientierung verloren hatte.

Die griechische Tageszeitung «Kathimerini» spricht von «einer noch nie da gewesenen Zahl von Todesfällen in kurzer Zeit».

Was steckt dahinter?

Am Sonntag vergangener wurde auf dem Eiland Mathraki nordwestlich von Korfu die Leiche eines 55-jährigen Amerikaners gefunden, der seit Tagen als vermisst galt. Ein 75-jähriger Tourist aus den Niederlanden war am Vortag auf der ostägäischen Insel Samos tot geborgen worden.

Am Wochenende zuvor ist der britische BBC-Journalist Michael Mosley auf der Insel Symi tot aufgefunden worden. Auch nach ihm hatten Patrouillenboote, Taucher, Drohnen, Helikopter und Spürhunde tagelang gesucht. Auf Kreta starben zwei weitere Touristen im Alter von 70 und 80 Jahren. Einer in den Bergen, ein anderer am Strand. Am Mittwoch dieser Woche wurde ein 55-jähriger Niederländer auf Kreta tot in seinem Auto gefunden, nahe Ierapetra auf einer Klippe.

Für zwei französische Touristinnen, die seit Samstag auf der kleinen Kykladeninsel Sikinos vermisst werden, besteht wenig Hoffnung. Zwei israelische Touristen werden auf der Peloponnes vermisst. Auf Amorgos wird seit mehr als einer Woche nach einem 59-jährigen Ex-Polizisten gesucht.

Je älter ein Mensch, desto grösser das Risiko für einen Hitzschlag

Bei den meisten dieser Todesfälle, wenn nicht bei allen, dürfte laut griechischen Medien Überhitzung eine Rolle gespielt haben. Vergangene Woche herrschte eine Hitzewelle in Griechenland. Schon am frühen Morgen war es mancherorts 33 Grad heiss. In Chania auf Kreta wurden an einem Tag 44,5 Grad gemessen.

Die meisten der Toten und Vermissten sind Leute, die zu Wanderungen aufbrachen, viele von ihnen allein. Laut griechischen Medienberichten begannen einige der Touristen direkt nach dem Mittagessen ihre Touren – und nachdem sie Alkohol getrunken hatten. Andere waren ohne Karte oder Mobiltelefon in den oft felsigen, unzugänglichen Gegenden unterwegs. An vielen Stellen gibt es kein Mobilfunknetz, was die Suche erschwert. Der britische Journalist Mosley soll laut Medienberichten eine falsche Route und einen «unglaublichen Aufstieg» durch zerklüftete Berge gewählt haben, ein Telefon hatte er nicht dabei.

Der Niederländer auf Samos wurde, mit dem Gesicht nach unten, durch eine Feuerwehrdrohne in einer Schlucht entdeckt, nur rund dreihundert Meter von der Stelle entfernt, wo er eine Woche zuvor letztmals gesehen worden war. Bereits da hatte er in der Hitze anscheinend kaum laufen können.

Mediziner warnen davor, die benötigten Kräfte und Anstrengungen zu unterschätzen, die mit einer Wanderung in der prallen Sonne verbunden sind. Der Athener Kardiologe Thomas Giannoulis sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: «Die Temperatur kann bei 37 Grad im Schatten in der Sonne gut und gerne auf bis zu 60 Grad steigen.» Dadurch sei die Gefahr gross, zu dehydrieren und einen Hitzschlag zu erleiden. Je älter ein Mensch, desto grösser das Risiko.

Bei einem Hitzschlag reicht es nicht, schnell etwas Wasser zu trinken

Bei einem Hitzschlag kann man sich rasch nicht mehr selbst helfen, da man Zeitgefühl und Orientierung verliert. Es reicht nicht, schnell etwas Wasser zu trinken. Ein Hitzschlag muss im Spital behandelt werden.

Die Einheimischen vermeiden es, in den besonders heissen Stunden zwischen 14 und 17 Uhr draussen zu sein.

In der griechischen Hauptstadt Athen, dem Moloch aus Zement und Beton, wurden schon vor einigen Jahren spezielle Kühlungsräume eingerichtet. Für Menschen, die in Wohnungen ohne Klimaanlage leben, für Migranten und für Obdachlose, die dort an besonders heissen Tagen Zuflucht suchen sollen. Organisationen wie das Rote Kreuz fordern unermüdlich dazu auf, sich während Hitzewellen vor allem um betagte Mitbürger zu kümmern. Auch für streunende Hunde und Katzen wird Wasser bereitgestellt.

Ausländische Touristen sind sich aber oft der Gefahr von hohen Temperaturen zu wenig bewusst.

Der Leiter des Rettungsteams auf Samos sagte gegenüber lokalen Medien, dass die Rettungsarbeiten erschwert seien, da Touristen oft «vom Weg abkamen», um sich Sehenswürdigkeiten anzusehen, und sich dann verirrten. «Wir haben ein Paar aus dem Ausland gesehen, das bei 41 Grad ohne Hut auf einem solchen Pfad spazieren ging.» Das entbehre jeder Logik.

In Athen wurde vergangene Woche – wie auch schon im Vorjahr an einigen Tagen – die Akropolis am Nachmittag geschlossen, um etwaige Besucher vor der sengenden Hitze zu schützen. An die Touristen wurden Wasserflaschen verteilt.

Neben den hohen Temperaturen könnte ein weiterer Faktor eine Rolle bei den jetzigen Todesfällen gespielt haben.

Die griechischen Inseln sind kein Spielplatz, sondern Berge

Die meisten der Toten und Vermissten waren zu Wanderungen aufgebrochen. Die griechischen Inseln sind im Grunde Berge. Sie mögen nicht besonders hoch sein, doch das Gelände ist anspruchsvoll. Sind die Temperaturen hoch, ist das eine besonders gefährliche Kombination.

Jedes Jahr kommen Touristen bei vermeintlich anspruchslosen Aktivitäten in der freien Natur ums Leben. Der griechische Bergsteiger Miltos Zervas, Herausgeber eines Magazins für Bergsteiger, sagte gegenüber «Kathimerini», dass sich die Vorfälle der vergangenen Tage allesamt auf Inseln ereignet hätten, die in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf Wanderaktivitäten gelegt hätten. Über die potenziellen Gefahren, die damit verbunden sind, sei aber nicht entsprechend informiert worden.

Er verweist auf den Wanderweg E4 auf Kreta, auf dem in den vergangenen zwei Jahren Touristen ums Leben kamen. Auch er sei diesen Weg schon gegangen, da er ortskundig sei und gut trainiert. Als er nun Anfang Mai dort mit einem Freund unterwegs gewesen sei, habe er sich gefragt, ob man diesen Berg in der Hitze erklimmen sollte. «Die Hitze zermürbt einen, ohne dass man es überhaupt merkt. Und irgendwann kommt man konditionell in eine Sackgasse.»

Berg- und Wanderführer kritisieren zudem, dass es nicht an Fachleuten, sondern an einer Kommunikationsstrategie fehle. Es gebe eine Verantwortung des Touristen, aber auch die Verantwortung des Reiseziels, sagte Lefteris Trikiotis, Bergführer und Mitglied des Wanderausschusses der Region Nordägäis, der Zeitung «Kathimerini». Vor einer Wanderung gelte es, sich zu informieren. Doch nicht bei der freundlichen Dame, die einem das Zimmer vermiete, sondern bei den Fachleuten der lokalen Berg- und Wandervereine, so Trikiotis. «Der Besitzer einer Unterkunft kann solche Informationen nicht geben. Jeder gibt über alles Auskunft, ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein. In einem Land, in dem viele von uns im Tourismus arbeiten, ist unsere Tourismusausbildung gleich null.»

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