INTERVIEW - ER IST DER SCHNELLSTE SEGLER DER WELT – CHARLES CAUDRELIER, WORIN LIEGT DER SINN EINER WELTUMRUNDUNG MIT MILLIONENTEUREN MAXI-TRIMARANEN?

Charles Caudrelier, Sie waren gerade knapp zwei Monate auf See und haben die Welt in der Ultim-Challenge solo umsegelt und gewonnen. Wie erholen Sie sich nach einer solchen Regatta?

Ich bin mit meiner Familie in die Ferien gefahren, wir sind gesegelt. Probleme hatte ich nur mit dem Schlaf, das war kompliziert. Während der Ultim-Challenge habe ich maximal eine Stunde am Stück geschlafen. Ich hatte eine Art Jetlag, als ich zurückgekommen bin. Und die Müdigkeit setzte erst nach einigen Tagen ein, als sich das Adrenalin des Rennens gelegt hatte. Ich bin auch jetzt, drei Wochen nach der Ultim-Challenge, noch müde. Und gleichzeitig verspüre ich viel Energie, die Euphorie des Sieges trägt mich.

Sie waren bis auf einen Zwischenstopp zwei Monate lang allein. Wie gewöhnen Sie sich wieder an das Leben an Land und in der Gesellschaft?

Mir ist dieser Wechsel immer leichtgefallen, weil ich das in den letzten 15 Jahren schon so oft gemacht habe. Ich kenne andere Segler, für die die Rückkehr schwierig ist. Auch meine Familie hat sich daran gewöhnt, dass ich manchmal wochenlang auf See bin. Während der Ultim-Challenge war ich ausserdem ständig in Kontakt mit dem Team an Land, dank Internet an Bord konnte ich ausserdem mit der Familie telefonieren. Für mich ist es schwieriger loszusegeln, als heimzukommen.

Was macht das Lossegeln schwierig?

Die ersten Tage und Nächte sind schwierig. Ich verspüre grossen Druck, bin mir bewusst, dass ein ganzes Team mir vertraut. Und manchmal werde ich seekrank.

Seekrank – wie bitte?

Wegen der Seekrankheit hätte ich 2000 nach der ersten Regatta, einer Atlantiküberquerung, beinahe aufgehört. Die Seekrankheit wird stärker, wenn man sich gestresst fühlt. Und in den ersten Tagen eines Rennens habe ich viel Stress. Zum Glück gibt es dagegen Medikamente. Nach einer Woche habe ich dann Seebeine und keine Probleme mehr.

Sie sind lange allein unterwegs, weg von der Familie. Hinzu kommen wenig Schlaf, Naturgefahren und andere Strapazen. Was zieht Sie immer wieder auf die Meere?

Ich liebe den Wettkampf. Ich habe immer Sport getrieben, Golf, Tennis und Fechten. Ich wollte immer gewinnen. Und ich bin gerne in der Natur, mag Abenteuer, und mich fasziniert die Technologie in den Jachten. Hochseesegeln ist eine Kombination von allem, also perfekt für mich.

Sie haben das Ocean Race als Crewmitglied und Skipper gewonnen. Diese Weltumsegelung wird im Team gesegelt, die Ultim-Challenge ist eine Solo-Regatta. Worin liegt der Unterschied zum Segeln im Team?

Ich musste mich nur um mich kümmern und nicht um die Stimmung an Bord. Das machte es einfacher. Hat man ein technisches Problem, macht das Alleinsein die Angelegenheit natürlich komplizierter. Mit einer Crew zu segeln, ist eine schöne Erfahrung, weil man Erlebnisse teilt. Aber es ist auch kompliziert, der eine schläft schlecht, dem anderen schmeckt das Essen nicht, ein weiteres Crewmitglied hat schlechte Laune und will am liebsten nach Hause. Es gibt kaum etwas Komplizierteres, als mit einem Team zu segeln.

Wie sah ein typischer Tag während der Ultim-Challenge aus?

Den gab es nicht, mein Tagesablauf hing von vielen Faktoren ab, vom Wetter, davon, ob andere Schiffe in der Gegend waren, ob ich Manöver durchführen oder ein technisches Problem lösen musste. Ich nutzte jede Möglichkeit, um zu schlafen oder zu essen, maximal eine Stunde am Stück, manchmal nur zehn oder zwanzig Minuten. In Gegenden ohne Schiffsverkehr und mit stabilem Wetter und Kurs kam es auch vor, dass ich Zeit hatte, einen Film zu schauen oder ein Buch zu lesen.

Apropos Essen: Tafelfreuden wird es kaum gegeben haben an Bord?

Das Essen ist in meinem Fall kompliziert. Am Ocean Race konnte ich gefriergetrocknete Mahlzeiten nach ein paar Tagen nicht mehr sehen. Wenn mir etwas nicht schmeckt, dann esse ich einfach nicht. Der Hunger machte mich damals fast verrückt, ich bekam mentale Probleme. Bei der Ultim-Challenge haben wir das berücksichtigt und viel Wert auf gute Verpflegung gelegt, auch wenn wir dazu zusätzliches Gewicht im Boot hatten. Mehrere Köche, unter ihnen ein Sternekoch, bereiteten für mich vakuumierte Mahlzeiten vor. Ich habe noch nie so gut gegessen während eines Rennens.

Während der Schlafpausen steuerte der Autopilot die Jacht. Fiel es Ihnen schwer, der Technik zu vertrauen?

Ich kenne Spitzensegler, die keine Einhandregatten machen, weil sie die Kontrolle nicht dem Autopiloten abgeben können. Ich habe damit weniger Probleme. Ich sage mir immer, dass ich dem Automechaniker auch vertraue, dass er die Bremsen an meinem Wagen richtig repariert hat.

Sie gewannen am Ocean Race, an der Route du Rhum und nun die Ultim-Challenge. Sind alle diese Siege gleichwertig?

Es sind unterschiedliche Erfahrungen, auch wegen der verschiedenen Bootstypen. Das Ocean Race vergleiche ich mit einer Rally, Paris–Dakar zum Beispiel. Das Segeln mit den Ultim-Trimaranen fühlt sich hingegen eher wie Formel 1 an. Ich liebe das Ocean Race, weil die besten Seglerinnen und Segler der Welt mitmachen. Unter ihnen sind auch Olympiasieger. Das Niveau ist unglaublich hoch. Als kleiner Bub wollte ich immer die Route du Rhum gewinnen, deshalb habe ich mit dem Segeln angefangen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich das Ocean Race gewinnen werde oder so ein verrücktes Rennen wie die Ultim-Challenge.

Vom Handelsschiff auf den Maxi-Trimaran

krp. Charles Caudrelier, 50 Jahre alt, ist einer der erfolgreichsten Hochseesegler der Welt. Der Franzose triumphierte zweimal am Ocean Race, einer Weltumsegelung für Jachten mit Crews. Zudem gewann er 2022 die Route du Rhum sowie dreimal die Transat Jacques Vabre. Für das Team Gitana, das von der Schweizer Privatbank Edmond de Rothschild finanziert wird, siegte er jüngst an der Premiere der Ultim-Challenge. Diese Solo-Weltumrundung für riesige Trimarane soll 2027 erneut stattfinden. Caudrelier fuhr zunächst auf Handelsschiffen zur See und ist seit 2009 Profi-Segler. Er lebt mit seiner Familie in der Bretagne.

Welche Ziele bleiben noch?

Unser Team baut einen neuen Trimaran, der nächstes Jahr fertig sein wird. Damit wollen wir an der nächsten Ultim-Challenge 2027 reüssieren. Schon im Winter 2025/26 wollen wir mit dem neuen Boot die Trophée Jules Verne erringen, die erhält man für den Weltrekord für die schnellste Weltumrundung. Der Rekord liegt bei 40 Tagen und 23 Stunden. Ich träume davon, als erster Segler unter 40 Tagen zu bleiben.

Reizt Sie die Vendée Globe?

Nicht mehr.

Was hat Ihre Meinung geändert?

Als ich angefangen habe, wollte ich einmal im Leben allein um die Welt segeln. Damals gab es nur die Vendée Globe. Doch mit der Ultim-Challenge und den neuen Jachten habe ich diesen Traum verwirklicht. Ich bin 50 Jahre alt. Die Boote an der Vendée Globe sind wenig komfortabel. Ich habe noch von niemandem gehört, dass es Freude mache, die Vendée Globe zu absolvieren. Und ich will aus Freude segeln.

An der Ultim-Challenge haben nur sechs Trimarane teilgenommen. Sie haben mit riesigem Vorsprung gewonnen. Haben Sie nur gewonnen, weil Sie das beste und teuerste Boot hatten?

Die ersten vier Boote waren von der Leistung her vergleichbar. Aber es ist wie in der Formel 1: Wenn du nicht das beste Fahrzeug hast, dann gewinnst du nicht. Auch ich bin auf meiner Jacht nur der Fahrer. Der Sieg war deshalb eine Teamleistung. Ich hätte das Boot nicht selbst bauen können. Begehen die Meteorologen oder das Team, das die Route ausarbeitet, einen Fehler, gewinne ich nicht. Die Ultim-Trimarane sind technisch hochkomplex. Ich glaubte vor der Regatta nicht daran, dass eine Jacht ins Ziel kommen wird.

Wie verändert die Hilfe vom Festland das Segeln?

Solo ist das Segeln vielseitiger, man muss sich um alles selbst kümmern, die Route, das Wetter, die Manöver und die Taktik. Hat man hingegen ein Team an Land, geht es vielmehr darum, die Leistung des Bootes zu optimieren. Meine Equipe hat mich ständig gepusht, gesagt, ich solle noch schneller segeln und das letzte Quentchen Leistung aus der Jacht herausholen.

Gibt es ein Ereignis, das Ihnen von der Ultim-Challenge besonders in Erinnerung bleiben wird?

Die Passage von Kap Hoorn war wie bei jeder Weltumseglung der Höhepunkt. Ich bin diese Route schon zum vierten Mal gesegelt. Dieses Mal gab es wenig Wind und viel Sonnenschein. Ich bin so nahe am Kap gesegelt, dieses Bild hat sich mir eingeprägt.

Warum ist Kap Hoorn der Höhepunkt?

Dort wird einem bewusst, dass man den härtesten Teil der Weltumsegelung geschafft hat. Vor Kap Hoorn segelt man im Südpazifik. Hat man zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und Kap Hoorn ein Problem oder kentert sogar, dauert es tagelang, bis Hilfe kommt. Die Passage von Kap Hoorn fühlt sich an, als würde man zurück in die Welt kommen.

Fürchten Sie sich manchmal?

Ich bin einmal fast gekentert, da hat das Herz schon geklopft. Abgesehen von dieser Situation hatte ich nur Sorgen, das Rennen zu verlieren.

Sie sind aus taktischen Gründen beim Kap Hoorn viel langsamer gesegelt, als es mit dem Boot möglich gewesen wäre. Zeitweise dümpelten Sie mit nur 5 Knoten auf dem Meer. Wie schwierig ist es, auf die Bremse zu stehen?

Das war keine einfache Entscheidung, ich hatte es bis Kap Hoorn geschafft, befand mich mental schon auf der Heimreise. Doch mein Vorsprung war gross, und ich wollte die Zeit nutzen, um diverse Schäden am Boot zu reparieren. Und es war auch eine willkommene Pause, sonst war ich immer voll auf das Rennen fokussiert. Ich verbrachte viel Zeit an Deck, die Natur war wunderschön, die Wellen waren hoch. Und ich erholte mich ein wenig.

Sie mussten kurz vor dem Ziel auf den Azoren einen Stopp einlegen, wegen technischer Probleme und des Wetters. Die Ultim-Challenge war zwar nicht als Nonstop-Weltumsegelung ausgeschrieben. Hat es Sie trotzdem geärgert, dass Sie es nicht ohne Pause geschafft haben?

Das war hart, ich wollte nicht anhalten, sondern nach Hause. Und hätte ich die Ultim-Challenge nonstop gewonnen, wäre das natürlich gut für das Ego und eine schöne Geschichte gewesen. Aber manchmal muss man vernünftig bleiben.

Ultim-Trimarane fliegen auf Foils und werden bis zu 50 Knoten schnell. Wie fühlt sich das an?

Das ist schwierig zu beschreiben, selbst erfahrenen Seglern. Am besten trifft es wohl der Unterschied zwischen einem normalen Personenwagen und einem Formel-1-Auto. Es ist ein zauberhaftes Gefühl, die Beschleunigung, das Fliegen und das Tempo.

Langweilen Sie normale Rennjachten nach dieser Erfahrung?

Nein, denn auch ein Formel-1-Fahrer lenkt gerne einmal ein Strassenauto. Aber ich kann mir vorstellen, dass lange Distanzen auf einer konventionellen Jacht mich jetzt langweilen, weil ich mittlerweile das Tempo der Ultim-Klasse gewohnt bin.

Der Hochsee-Rennsport geriet in letzter Zeit in die Kritik wegen Kollisionen mit Meeressäugern. Wie reagieren Sie auf Kritiker, die Regatten wie die Ultim-Challenge verbieten wollen?

Wir müssen die Natur und die Meerestiere schützen, das ist für mich klar. Ich finde auch, dass unser Sport eine Vorbildfunktion hat. Andererseits finde ich die Kritik übertrieben.

Wie meinen Sie das?

Ich war Kapitän eines Handelsschiffes, bevor ich Profi-Segler wurde. Wenn man sieht, was alles auf den Weltmeeren unterwegs ist, sind wir Segler nicht das Hauptproblem. Aber klar, wir müssen uns verändern und den Schutz von Meerestieren verbessern.

Was unternehmen Sie konkret gegen die Kollision mit Walen?

Wir führen am Kiel ein Gerät mit, das Wale und andere Meerestiere mit Schallwellen verscheucht. Ausserdem versuchen wir Seegebiete zu meiden, von denen wir wissen, dass sich dort gerade Wale aufhalten könnten. Das ist aber nicht immer möglich.

Bau und Unterhalt von Ultim-Jachten kosten bis zu 40 Millionen Franken. Warum ist es sinnvoll, solche Rennmaschinen zu bauen und mit ihnen Regatten zu veranstalten?

Man könnte sich auch fragen, warum wir Fussball-WM und Olympische Spiele austragen oder auf den Mount Everest steigen. Wir können als Gesellschaft sagen, dass wir aufhören mit Sport, weil er schlecht für die Umwelt ist. Für mich geht mit diesen riesigen Trimaranen aber ein Traum in Erfüllung. Und wenn ich die vielen Menschen und vor allem Kinder am Start einer Regatta sehe, dann ist es für mich sinnvoll, Segler zu sein, um bei den Zuschauerinnen und Zuschauern eine Faszination für unseren Sport und den Ozean zu wecken.

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