KOLUMNE - WER SICH IN DEN FERIEN ERHOLEN WILL, BRAUCHT DISZIPLIN. EINE ANLEITUNG

Sommerzeit ist Ferienzeit. Doch ist Ferienzeit auch Erholungszeit? Viele Berufstätige planen ihre Sommerferien schon Monate im Voraus. Die Erwartungen sind entsprechend hoch, die Anspannung ist riesig, und oft wird man zu Beginn der Ferien krank, weil zwar der Stress wegfällt, aber die Abwehrkräfte durch den chronischen Stress geschwächt sind. Das ist zwar ärgerlich, aber nicht der wahre Ferienverderber. Der Hauptgrund für schlechte Erholung in den Sommerferien ist die Unfähigkeit, gedanklich von der Arbeit abzuschalten, wie eine Studie des deutschen Meinungsforschungsinstituts Forsa zeigt.

Warum tun sich Menschen so schwer damit, in den lang ersehnten Ferien nicht nur den Laptop, sondern auch mental herunterzufahren? Die Gründe sind vielschichtig und reichen von technischen bis hin zu psychologischen Aspekten.

Fomo im Ferienparadies

Zum einen war es noch nie so einfach wie in unserer digitalisierten Arbeitswelt, ständig in Verbindung mit dem Job zu bleiben: Das E-Mail-Postfach ist meist nur einen Klick entfernt, Benachrichtigungen werden aufs Handy gepusht, und der Whatsapp-Chat mit den Arbeitskolleginnen läuft heiss. Die Verlockung ist gross, im Liegestuhl noch schnell eine E-Mail zu beantworten – was laut einer SAP-Studie die Hälfte der Arbeitnehmenden tut. Ein Sechstel der Beschäftigten nimmt in den Ferien sogar an Telefonkonferenzen teil. Dabei wäre die Lösung so einfach: Deaktivieren Sie während der Ferien auf dem Handy die Benachrichtigungen für arbeitsrelevante Anwendungen wie das E-Mail-Programm. Oder lassen Sie das Geschäftshandy – sofern vorhanden – gleich zu Hause.

Natürlich sind diese Lösungen nur dann wirksam, wenn es gelingt, die zahlreichen psychologischen Barrieren zu überwinden. Übertrieben pflichtbewusste Menschen empfinden Ferien oft als Belastung, da sie ihre Verantwortung für Projekte und Kunden vorübergehend abgeben müssen – ein Gefühl des Kontrollverlusts. Die Angst, während der Abwesenheit etwas Wichtiges zu verpassen, bekannt als «fear of missing out», veranlasst Menschen dazu, aus der Ferne arbeitsbezogene Informationskanäle zu nutzen. Hinzu kommt die Befürchtung, ohne den eigenen Beitrag könnte die Arbeit zum Stillstand kommen – oft ist dieses Gefühl der eigenen Unersetzbarkeit eine trügerische Annahme.

Vorgesetzte sollten Vorbilder sein

Noch tückischer ist die Furcht, am Arbeitsplatz nicht vermisst zu werden. Dieses nagende Gefühl wird gerne durch ständige Erreichbarkeit und Einmischung kompensiert, getrieben von einem Selbstwertgefühl, das eng mit der beruflichen Rolle verknüpft ist. «Wer bin ich denn, abseits von meinem Job?», fragte mich ein Freund einmal. Der Kontakt zu den Arbeitskollegen federt solche ferienbedingten Mini-Identitätskrisen ab. Allerdings auf Kosten der eigenen Erholung.

Besonders problematisch ist es, wenn Vorgesetzte in den Ferien E-Mails schreiben. «Unser CEO hat in seinen Ferien 220 E-Mails geschrieben», erzählte mir eine Freundin. Dies kommuniziert eine implizite Erwartung der ständigen Erreichbarkeit. Gleichzeitig wird so eine Antwortpflicht kultiviert, die der Erholung definitiv im Wege steht. Besser wäre, wenn Führungskräfte in den Ferien ihre digitale Kommunikation beschränkten. Wer sich wirklich verpflichtet fühlt, E-Mails zu lesen, sollte dies auf genau definierte Zeiträume mit genügend Abstand beschränken. Und nur in absoluten Ausnahmefällen auf E-Mails antworten.

Der Schlüssel zum mentalen Abschalten in den Ferien liegt darin, sich selbst zu beschäftigen. Forscher aus Wien haben untersucht, welche Verhaltensweisen zu mehr Erholung in den Ferien beitragen: Dazu gehören körperliche Aktivität, eine bessere Schlafqualität als zu Hause sowie das Knüpfen neuer Bekanntschaften. Auch ein hohes Mass an Autonomie, also den Tagesablauf selbst bestimmen zu können, wirkt sich positiv auf die Erholung aus.

Die Reue auf dem Sterbebett

Sollten dennoch arbeitsbezogene Gedanken auftauchen, kann die Technik des Gedankenstopps aus der kognitiven Verhaltenstherapie helfen. Sobald man erkennt, dass sich das Gedankenkarussell zu sehr um Arbeitsaufgaben dreht, sollte man innerlich oder laut «Stopp» sagen. Danach soll man die Aufmerksamkeit sofort auf etwas anderes lenken, wie die Umgebung oder auf tiefes Ein- und Ausatmen. Je öfter man diese Technik anwendet, desto besser wird das Gehirn dabei, die unerwünschten Gedanken schnell zu stoppen.

«Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet» ist eines der fünf Dinge, die Sterbende am meisten sagen, wie Bronnie Ware im gleichnamigen Buch schreibt. Diese Worte sollten wir beherzigen – zumindest in den Ferien. Und uns die Erholung gönnen, die wir verdient haben.

Nicole Kopp ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Mitgründerin der Beratungsfirma GoBeyond.

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