EIN VERBINDLICHES REGELWERK AM MOUNT EVEREST? NEPALS REGIERUNG ERLäSST VORSCHRIFTEN, DIE FüR DIE ALPINISTEN KAUM UMSETZBAR SIND

Am Mount Everest ist man mit dem Aufgleisen von Besteigungen in Verzug geraten. Auf der nepalesischen Südseite des höchsten Berges der Erde hat das Team der einheimischen «icefall doctors» die Route durch den Khumbu-Eisbruch deutlich später mit Fixseilen und Leitern versichern können als in den letzten Jahren. Dawa Steven Sherpa vom Anbieter Asian Trekking sagt: «Wir sind dadurch bei der Einrichtung der höheren Lager und beim Transport der Lasten vom ursprünglichen Zeitplan abgewichen.» Die Erfolgschancen seiner Gruppe sieht er jedoch nicht gefährdet, noch sei alles im grünen Bereich.

Das Gletscherlabyrinth oberhalb des Everest-Basislagers gilt gemeinhin als die komplizierteste und gefährlichste Passage bei einem Aufstieg von der nepalesischen Südseite. Im vergangenen Jahr starben dort drei Hochträger, als ein Teil des Gletschers kollabierte. Das Route-Fixing der ersten Everest-Etappe hat heuer länger gedauert, weil der Winter sehr trocken und warm war. Sämtliche Gletscherspalten hätten sich geöffnet, das Eis sei ziemlich brüchig, so Dawa Steven Sherpa.

Die «icefall doctors» mussten darum drei verschiedene Routen ausprobieren, um einen Weg zum ersten Hochlager zu finden. Zunächst waren sie auf der Nuptse-Seite unterwegs, wo sie von einer nicht überwindbaren Gletscherspalte gestoppt wurden. Das nächste Mal versuchten sie es in der Mitte des Gletschers und wurden von einem gefährlichen, überhängenden Sérac aufgehalten. Sie warteten darauf, dass dieser zusammenbricht, aber das tat er nicht.

Also mussten sie es doch auf der üblichen Route nahe der Westschulter versuchen. Das Problem in diesem Bereich des Khumbu-Eisbruchs: Oberhalb hängen riesige Gletscher, von denen von Zeit zu Zeit Eis abbricht. Am 18. April 2014 kamen aufgrund eines solchen Eissturzes 16 einheimische Hochträger ums Leben.

Helikopter bringen nicht nur Lärm, sie schmälern auch die Einnahmen

Erste Rufe wurden laut, zumindest Ausrüstung und Material der Expeditionen über den Khumbu-Eisbruch hinauffliegen zu dürfen. «Zweifellos wäre das für die Sherpas sicherer», sagt Dawa Steven Sherpa, «aber es fragt sich, ob man noch von Bergsteigen sprechen kann, wenn man anfängt, in hohem Masse auf die Hilfe von Maschinen zurückzugreifen.» Was bei seinem Votum mitschwingt: Irgendwann würden dann auch die Expeditionsteilnehmer diesen Shuttle-Service einfordern. Es gibt Gerüchte, wonach manche das ohnehin schon machen.

Und es stellen sich weitere Fragen: Sollen Helikopter am Mount Everest – abgesehen von Rettungsflügen und zum Transport des Materials der «icefall doctors» – auch in die Hochlager fliegen dürfen? Wie viel Luxus darf es im Basislager geben, das in jedem Frühjahr auf dem Khumbu-Gletscher errichtet wird? Und müssen die Ausrüstungen der Expeditionen – als eine Art Beitrag zum nachhaltigen Tourismus – auf dem Rücken von Yaks ins Basislager gebracht werden?

Immer wieder gibt es Anläufe, diese Fragen abschliessend zu beantworten. Anfang Februar war die Aufregung gross, nachdem die Lokalverwaltung der Everest-Region mit der «Base Camp Management Procedure 2024» ein neues Regelwerk für die Expeditionen zum «Dach der Welt» vorgelegt hatte. «Abwarten», rieten die Expeditionsveranstalter. Tatsächlich hatten wie so oft die meisten dieser Regeln nicht einmal bis zur Anreise der Expeditionen ins Basislager Bestand.

Es ging schon los wegen des Transports von Zelten und Ausrüstung. Bei Besuchen in der Everest-Region hörte man die Lodge-Besitzer schon früher über die stark angestiegene Zahl der Helikopterflüge klagen. Helikopter bringen nicht nur Lärm, sie schmälern auch die Einnahmen, wenn die Expeditionsteilnehmer in wenigen Stunden von Kathmandu ins Basislager gebracht werden können, anstatt dass sie in einer Woche zu Fuss und mit zahlreichen Stopps in Teahouses und Lodges dieses erreichen müssen.

Die Idee war deshalb, den Helikoptertransport nur bis Syangboche zu erlauben, auch bekannt für sein «Everest View»-Hotel. Anschliessend hätten dann wie früher Yaks und Jopkes (eine Mischung aus Yak und Rind) zum Einsatz kommen sollen. Auch lokale Träger hätten dadurch Arbeit bekommen. Ein entscheidender Punkt wurde dabei aber vergessen: Es gibt in der Gegend schlichtweg zu wenig Tragtiere. Seit die Tonnen von Ausrüstung von Helikoptern ins Basislager gebracht werden, haben viele einheimische Familien die Tierhaltung aufgegeben oder zumindest reduziert.

Auch die Beschränkung von Zeltgrössen wird nicht weiterverfolgt. Das Ziel war, Angeboten Einhalt zu gebieten, die einigen zu luxuriös waren, wie beispielsweise die grossen Kuppelzelte, in denen die Alpinisten nicht nur gemeinsam essen, sondern auch zu Yoga-Kursen oder zum Schauen von Videos auf Grossbildschirmen zusammenkommen. Diese Zelte sind fester Bestandteil der Basislager-Ausstattung und auf Aufnahmen nicht zu übersehen. Laut Lukas Furtenbach, einem der wenigen verbliebenen westlichen Expeditionsanbieter am Mount Everest, hätten dann aber deutlich mehr Zelte ins Basislager gebracht werden müssen.

Geblieben ist hingegen die Verpflichtung zu sogenannten Wag-Bags am Berg. Insbesondere westliche Expeditionen verwenden solche Fäkalienentsorgungsbeutel in den Hochlagern seit Jahren. Weiterhin ein Problem bleibt der Umgang mit Kot und Urin im Basislager. Laut dem Sagarmatha Pollution Control Committee wurden im vergangenen Jahr dort zwar rund 21,5 Tonnen menschliche Ausscheidungen gesammelt. Was damit passiert, ist jedoch wenig appetitlich: Menschliche Hinterlassenschaften dieser Art werden laut Beobachtern wenige Kilometer vom Basislager entfernt neben dem Khumbu-Gletscher und damit mitten im Nationalpark unbehandelt entsorgt.

Die nepalesische Armee kündigte an, zehn Tonnen Müll vom Berg zu holen

Bekräftigt wurde eine Verpflichtung, die es bereits seit 2014 gibt. Jeder, der über das Basislager hinaufsteigt, muss auf seinem Rückweg 8 Kilogramm Müll vom Berg mitnehmen. Über Jahrzehnte liessen Expeditionen die vom Sturm zerrissenen Zelte, Konservendosen, Sauerstoffflaschen (und auch Tote) einfach am Berg. Um dem Ruf des Mount Everest als höchstgelegene Müllhalde der Welt entgegenzuwirken, hat die nepalesische Armee nun angekündigt, in dieser Vormonsunsaison zehn Soldaten abzustellen, um 10 Tonnen Müll vom Berg zu holen (und fünf tote Bergsteiger).

Am Ziel vorbei schiesst die Forderung des Tourismusministeriums, jeder Bergsteiger müsse in diesem Jahr mit einem Recco-Reflektor ausgerüstet sein. Damit sollte die Suche nach vermissten Bergsteigern erleichtert werden. Recco dient zur Lokalisierung von Vermissten und Verschütteten, vorwiegend per Suche aus der Luft. Lukas Furtenbach sagt dazu: «Ich wüsste nicht, wie man damit die am Gipfelgrat ‹verlorengegangenen› Kunden geführter Expeditionen verhindern oder finden hätte können.» Dafür brauchte es GPS-Tracker.

Trotz den ständigen Änderungen bei den Regelungen und der leichten Verzögerung bei der Versicherung der Route scheint auf der Südseite einer erfolgreichen Saison nichts im Wege zu stehen. Auf der Nordseite, wo laut Berichten die Fixseile bis zum Nordsattel verlegt sind, geht die Hängepartie hingegen weiter. Nachdem Bergsteiger aus der ganzen Welt in Nepal auf ihre Einreiseerlaubnis und die Besteigungspermits für Shishapangma (8027 Meter) und Cho Oyu (8201 Meter) gewartet hatten, erklärte die China-Tibet Mountaineering Association die Saison für beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Diese Berge bleiben im Vormonsun gesperrt.

Mario Vielmo, ein Italiener, der bereits 13 der 14 Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat und seine Reihe heuer an der Shishapangma abschliessen wollte, liess ausrichten, er habe viel Geduld. «Wenn es das Schicksal will, wird der richtige Zeitpunkt kommen. Ausserdem haben wir gehört, dass es viel Schnee hat an der Shishapangma.» Im letzten Herbst hatten starke Schneefälle und zwei tödliche Lawinen Vielmos Gipfelerfolg vereitelt.

Alle, die über den tibetischen Nordsattel auf den Mount Everest steigen wollen, sollen ihre Visa für die Einreise nach China bald erhalten. Zunächst war das für spätestens 30. April in Aussicht gestellt worden. Wie der Schweizer Mount-Everest-Experte Kari Kobler aus China erfahren hat, soll es nun bis am 8. Mai so weit sein.

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