AUF DEN HöCHSTEN GIPFELN DER WELT DOMINIERT IMMER NOCH DER MACHISMO

Sie gilt als eine der grossen Herausforderungen im Alpinismus: die Kompressor-Route am Südostgrat des Cerro Torre in Patagonien. Jetzt wurde sie erstmals von einem reinen Frauenteam durchklettert. «Bravo, Mädels.» «Freue mich so für euch!! Wohlverdient!!!» «Glückwünsche, grossartig!!!» So reagierte die Elite der Alpinkletterer, als Fanny Schmutz den Exploit auf Instagram vermeldete. Die Bergführerin aus Chamonix und Spitzenalpinistin schaffte ihn gemeinsam mit Maud Vanpoulle und Lise Billon.

«Unsere Freundschaft und unsere Seilschaft haben es uns ermöglicht, einen unserer Lebensträume zu verwirklichen. Wir haben Klettergeschichte geschrieben, aber für mich ist es vor allem eine schöne Geschichte unter Freundinnen», schrieb Schmutz. Eine beeindruckende Leistung, denn nach dem ersten Versuch im Jahr 1965 war die Route überhaupt erst 2012 frei geklettert worden. Und auch seitdem haben es erst ein gutes Dutzend Teams geschafft.

Solche Frauen-Exploits sind noch immer eine Ausnahme

Auch wenn es am Cerro Torre nicht 67 Jahre gedauert hat, wie damals nach der Erstbesteigung am Matterhorn, bis das erste reine Frauenteam den Gipfel erreichte, «all-female ascents» wie der in Patagonien sind noch immer eine Ausnahme. Im Bergsport sind Frauen weit unterrepräsentiert. «Ich finde es schade, dass Frauen es nicht schaffen, gleichwertig neben Männern dazustehen. Es ist längst an der Zeit, dass Frauen anerkannt werden, ohne es als Extrathema zu behandeln», sagt die Südtiroler Alpinhistorikerin Ingrid Runggaldier.

Frauen haben vielfach bewiesen, dass sie am Berg mit extremen Leistungen aufwarten und insbesondere im Klettersport sogar Männern voraus sein können. «Die Öffentlichkeit hat gesehen, dass Frauen gleich gut sind wie Männer. Das hat auch den Blick auf das Bergsteigen verändert», sagt Runggaldier. Beispielsweise zeigte 1993 die amerikanische Ausnahmekletterin Lynn Hill der Kletterwelt, dass die Route «Nose» am El Capitan frei geklettert werden kann. Ein Problem, das Männer über viele Jahre nicht lösen konnten. Hill kommentierte das mit einem «It goes, boys!» und durchstieg die Route im Jahr darauf sogar in weniger als 24 Stunden.

Trotzdem geben im Bergsport noch immer die Männer den Ton an. «Beim Klettern steigen sie in schwierigeren Passagen vor. Und das Gipfelfoto reklamiert selbstverständlich der Mann für sich.» Solche alten Muster, wie sie Runggaldier von den Anfängen des Bergsteigens beschreibt, haben bis in die Gegenwart überdauert. Ist es der männliche Beschützerinstinkt? Oder wollen sie einfach nur Stärke zeigen?

Frauen selbst empfinden das unterschiedlich: Für Nicole Niquille, die erste Bergführerin der Schweiz und die erste Frau überhaupt, die ohne Flaschensauerstoff in eine Höhe von mehr als 8000 Metern aufgestiegen ist, gab es nie eine Diskussion. Sie sei immer gerne mit Männern unterwegs gewesen.

«Ich fühlte mich gut mit meinen männlichen Expeditionsmitgliedern. Wir waren ein Team von Bergsteigerfreunden und nicht eine Auswahl von Spitzenbergsteigern. Aus demselben Grund hatte ich auch nie Lust, an einer Expedition teilzunehmen, die nur aus Frauen bestand», sagt sie. Palma Baldo, die erste Bergführerin der italienischen Provinz Trentino, sagte dagegen einmal, klettere eine Frau mit einem Mann, zähle ihre Leistung ein Viertel. Sei eine Frau mit einer Frau unterwegs, vervierfache sich die Leistung.

Der Tod am Berg ist männlich

Das Potenzial jedenfalls ist da. So wie es sehr ambitionierte Männer gibt, gibt es auch extrem ehrgeizige Frauen. Längst ist bewiesen, dass Frauen nicht nur mindestens so leidensfähig und willensstark sind wie Männer, sondern offenbar auch deutlich umsichtiger. Der Tod am Berg ist nämlich männlich. Statistisch sterben deutlich weniger Frauen als Männer beim Bergsport. Das Verhältnis liegt etwa bei 1:5, allerdings klettern deutlich mehr Männer als Frauen.

Und ein Weiteres macht der Blick in die Statistik deutlich: wie eklatant unterrepräsentiert Frauen gerade an den höchsten Bergen der Welt sind. Zwischen 1950 und 2023 wurde laut Himalayan Database an den Achttausendern in Nepal nicht einmal einer von sieben Versuchen, der über das Basislager hinausreichte, von einer Frau unternommen. Es gibt einiges aufzuholen.

Dabei hat die Kommerzialisierung des Höhenbergsteigens in den vergangenen zehn Jahren Frauen die Türen weit aufgestossen. Heute geht es nicht mehr darum, was jemand kann und ob andere einem zutrauen, diesen oder jenen Gipfel zu erreichen. Heute zählt einzig das Geld. Wer genug davon hat, kann sich in jede Expedition einkaufen und erhält dafür in der Premium-Preisklasse maximale Unterstützung.

Zwar gab es auch bei Pionierexpeditionen in den Himalaja Frauen. Zum Beispiel begleitete Hettie Dyhrenfurth ihren Mann Günter in den Karakorum, wo sie 1934 am Sia Kangri (7315 Meter) einen Höhenweltrekord für Frauen aufstellte, der erst zwanzig Jahre später gebrochen wurde. Richtig Schwung kam jedoch erst in den 1970er Jahren in das Höhenbergsteigen der Frauen. Und das auch nur, weil sie sich ihre Expeditionen zu den höchsten Gipfeln in Himalaja und Karakorum einfach selbst organisierten.

Dabei wurden sie kritisch beäugt – und zwar von Männern. «Miss Wanda not so strong and needed oxygen», so notierte Elizabeth Hawley die Schilderungen des Expeditionsleiters Karl Maria Herrligkoffer nach dem Erfolg der Polin Wanda Rutkiewicz am Mount Everest. Bei den männlichen Teilnehmern, die bis auf einen alle mit Flaschensauerstoff aufgestiegen sind, findet sich dieser abfällige Unterton nicht.

Dass bei Frauen besonders genau hingeschaut wird, diese Erfahrung hat auch Gertrude Reinisch machen müssen. Sie leitete 1994 die erste österreichische Frauenexpedition in Erinnerung an die zwei Jahre zuvor am Kangchendzönga (8586 Meter) verschollene Wanda Rutkiewicz.

Gertrude Reinisch, die Jahre vorher mit Rutkiewicz an Gasherbrum I (8080 Meter) und am Gasherbrum II (8034 Meter) in Pakistan unterwegs war, wählte den Shishapangma (8027 Meter) in Tibet als Ziel. Ihre Erfahrungen sind symptomatisch: In der Vorbereitung gaben Männer, die vorher an dem Berg waren, den Frauen nur unzureichende Informationen.

Der obligatorische chinesische Liaison-Officer verpflichtete das Frauenteam dazu, das Basislager 40 Kilometer entfernt vom Berg aufzuschlagen und damit mehr als 20 Kilometer vom eigentlichen Base-Camp entfernt. Und schliesslich wurde bemängelt, die Expedition habe es ja nur auf den 8008 Meter hohen Zentral- und nicht auf den Hauptgipfel geschafft. Dass in dieser Saison auch kein Mann über den gefährlichen Grat zum höchsten Punkt stieg, wurde dabei geflissentlich verschwiegen.

Wären die Frauen das Risiko eingegangen, hätte es ihnen so ergehen können wie der ersten Frauenexpedition an der Annapurna I. Bei der von Arlene Blum, bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Chemie an der University of California in Berkeley, geleiteten Expedition erreichten Mitte Oktober 1978 mit Vera Komarkova (Tschechoslowakei) und Irene Miller (USA) erstmals zwei Frauen den Gipfel des 8091 Meter hohen Berges.

Zwei Tage später wurden jedoch zwei Teilnehmerinnen beim Aufstieg von einer Lawine verschüttet. Ein Schicksal, das rein statistisch in den Bergen deutlich mehr Männer ereilt. «Im Bergsport gibt es eine weise Tradition, die Expedition anderer nicht zu hinterfragen. Man kann jedoch argumentieren, dass Frauen zusätzliche Probleme haben, wenn sie als Frauen klettern», ätzte der amerikanische Bergsteiger und Alpinjournalist David Roberts in einem Artikel über das tragische Ende der Expedition.

Durch derartige Berichterstattung förderten auch Medien über Jahrzehnte den männlichen Heldenkult. Heldinnen gibt es nicht. Selbst bei Gerlinde Kaltenbrunner, der ersten Frau, die die Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestieg, wurde das Haar in der Suppe gesucht und hinterfragt, ob ihre Leistung nun mit der eines Reinhold Messner zu vergleichen sei.

In diese Lücke stösst seit 2020 der Bergfreundinnen-Podcast des Bayerischen Rundfunks. Die Bergfreundinnen sprechen über Themen, die nicht zum Heldenkult passen: Angst, Selbsteinschätzung, Scheitern, Sexismus und sogar sexualisierte Gewalt, auch die gibt es am Berg. Das kommt an.

«Gerade Frauen, die sich manchmal ihrer eigenen Fähigkeiten am Berg nicht so sicher sind, machen wir damit Mut», so beschreibt Katharina Kestler, eine der Podcast-Hosts, ihre journalistische Erfahrung. Und über ihre Bergerfahrung sagt Katharina Kestler: «Es ist für einige Frauen einfach entspannter, wenn die sexuelle, zwischengeschlechtliche Perspektive so gar keine Rolle spielt.»

Das alleine wird aber nicht reichen, um Spitzenleistungen von Frauen zu fördern. Masha Gordon, die viele Jahre für eine Investmentbank arbeitete und durch Expeditionen zu den Polen, auf den Mount Everest und zu den höchsten Gipfeln der übrigen Kontinente zwei Weltrekorde für sich reklamiert, hat 2016 den Grit & Rock Award mitinitiiert, um Frauen zu Erstbesteigungen von neuen Routen und noch nicht erreichten Gipfeln zu motivieren.

In den vergangenen acht Jahren wurden mehr als 30 von Frauen geleitete Expeditionen mit rund 80 000 Dollar unterstützt. Einige der geförderten Expeditionen wurden im Rahmen des Piolet d’Or lobend erwähnt. Und: Einige dieser geförderten Frauen haben daraufhin Sponsoren gefunden, die ihnen das Leben als Berg-Profi erleichtern und auch mehr Freiheiten bei der Suche nach alpinistischen Zielen eröffnen.

In diesem Jahr unterstützt die von Masha Gordon initiierte Stiftung übrigens eine Expedition an den Shivling, einen formschönen Sechstausender in Nordindien. Zu der Seilschaft gehört Fanny Schmutz, jene vom Cerro Torre.

Zuerst musste sie ihrem Mann ein Kind gebären

Am 16. Mai 1975 hat das Frauenbergsteigen den Höhepunkt erreicht. Junko Tabei, eine 35 Jahre alte Japanerin, steht auf dem Gipfel des Mount Everest. «Technik und Können allein reichen nicht aus, um an die Spitze zu gelangen; es ist der Wille, der am wichtigsten ist», wird Junko Tabei später einmal sagen.

Der Erfolg am Mount Everest ist tatsächlich Tabeis unbändiger Willenskraft zuzuschreiben. Schon an der Universität schliesst sie sich mit Anfang zwanzig einer Bergsteigergruppe an. Die männlichen Mitglieder wollen nicht mit ihr auf Berge steigen. Schon gar nicht ist daran zu denken, dass die Frau zu einer Expedition an einem hohen Berg eingeladen werden würde.

Junko Tabei gründet den Ladies Climbing Club Japan. Das Ziel: eine Expedition an einem hohen Berg. Schon im Jahr darauf bricht Tabei zu ihrer ersten Expedition nach Nepal auf. Sie schafft es auf den Gipfel der Annapurna III (7555 Meter) und fühlt sich bestätigt. Es ist das erste Mal, dass ein reines Frauenteam einen so hohen Gipfel erreicht.

Junko Tabei will mehr. Dass es sie auf einen Achttausender zieht, eröffnet sie gleich nach dem Erfolg an der Annapurna III gegenüber Elizabeth Hawley, der Begründerin der Himalayan Database, der Chronik des Höhenbergsteigens in Nepal. Laut Miss Hawleys Notizen nennt Tabei konkret den Mount Everest. Doch zuerst muss sie noch ein Versprechen einlösen, das sie ihrem Mann gegeben hat: ein Kind. Wenige Monate nach der Geburt der Tochter erhält Junko Tabei die Genehmigung für den Mount Everest.

«Auch wenn die besten weiblichen Bergsteiger noch nicht mit den besten männlichen Bergsteigern mithalten können, sehe ich keinen Grund, warum Frauen den Everest nicht besteigen können, solange ihre Expedition alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt: Die Mitglieder sollten fit sein, gute Organisation, gute Ausrüstung. Eine starke Gruppe von Sherpas, gute Beziehungen zu den Mitgliedern und etwas Glück mit dem Wetter – mehr braucht es nicht, um den Everest zu besteigen», so kommentiert Ende Januar 1975 Edmund Hillary, der 1953 gemeinsam mit Tenzing Norgay als Erster auf dem Gipfel des Mount Everest stand, das Vorhaben der Japanerinnen.

Reinhold Messner scheint den Frauen dagegen weit weniger zuzutrauen. Er begegnet der Gruppe, weil er zeitgleich mit der von Riccardo Cassin geleiteten Expedition an der Lhotse-Südwand unterwegs ist. Gekichert hätten die Japanerinnen, als man sich getroffen habe, ihre Gesichter seien «dick mit Sonnenschutzcreme verschmiert» gewesen und überhaupt hätten sie ihn «eher an eine Oberschulklasse als eine Expeditionsfrauenschaft» erinnert, schreibt er herablassend in seinem Buch «On Top». Der Mut der Frauen habe ihn staunen lassen. Offenbar war Reinhold Messner nicht ohne Vorurteile.

Wahrnehmungen können doch sehr unterschiedlich sein. Während Messner Junko Tabei als «verschüchtert» beschreibt, resümiert Elizabeth Hawley nach Tabeis Everest-Erfolg: «Sehr bescheiden . . . keine grossartige Bergsteigerin im Sinne von technisch anspruchsvollen Expeditionen, aber eine gute und vor allem eine entschlossene.»

Junko Tabei ist genau zur richtigen Zeit im richtigen Alter für ihre hochgesteckten Pläne. Zwar waren zwischen 1950 und 1964 sämtliche Achttausender bestiegen worden, aber weil die nepalesische Regierung zwischen 1965 und 1969 keine Genehmigungen für Expeditionen auf Achttausender erteilt und Grenzstreitigkeiten mit Indien Expeditionen in Pakistan unmöglich machen, kommt das Höhenbergsteigen erst in den 1970er Jahren wieder in Schwung. Im Zuge der 68er Bewegung wächst auch das Selbstbewusstsein der Frauen am Berg.

«Gemeinsam ist den Frauenexpeditionen, dass sie für die Teilnehmerinnen Räume schaffen, in denen der Zugang zu Hochgebirgsexpeditionen möglich und ihre Handlungsspielräume erweitert werden», schreibt die österreichische Historikerin Martina Gugglberger in einem Aufsatz. Neben Polinnen und Amerikanerinnen sind in den 1970er Jahren insbesondere Japanerinnen die führenden Protagonistinnen im Höhenbergsteigen.

Tatsächlich sind es mit Naoko Nakaseko und Masako Uchida Teilnehmerinnen einer solchen japanischen Frauenexpedition, die es als erste auf einen Achttausender schaffen. 1974 versuchen sich die Japanerinnen am 8163 Meter hohen Manaslu. Schon der erste Versuch ist von Erfolg gekrönt: Am 4. Mai 1974, also vor fünfzig Jahren, wird der Gipfel erreicht.

Naoko Nakaseko, die erste Frau auf dem Gipfel, hatte 1968 in Kyoto den nach dem Schweizer Berg benannten alpinen Frauenverein «Klub Jungfrau» gegründet. Dass das Ziel ausgerechnet der Manaslu war, hatte auch damit zu tun, dass der Berg 18 Jahre vorher von einer japanischen Expedition erstbestiegen wurde.

In der Himalayan Database endet der Eintrag zu der Manaslu-Expedition mit den Sätzen: «Unser Versuch scheint bewiesen zu haben, dass die Besteigung von Achttausendern durch Frauen möglich ist, wenn das Programm für Frauen geeignet ist. Wir hoffen, dass Frauenexpeditionen in der Zukunft auf der Grundlage unserer Erfahrungen bessere Ergebnisse erzielen können.»

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